Dabei
habe ich miterlebt, wie sich die Notunterkunft ständig verändert
hat. Von drei „kleinen“ Schlafsälen mit einer Kapazität von je
ca. 130 „Betten“ und einer großen Halle für ca. 500 Menschen
und einem kleinen Speisesaal und offenen, improvisierten Waschbecken
im Freien hat sich das Lager (und ich hasse diesen Ausdruck, mein
syrischer Freund sagt immer Heim oder Camp, aber alles trifft es einfach
nicht) auf vier „kleine“, den großen und noch einen riesigeren
Schlafsaal unten vergrößert, die Kapazität ist auf 2000 Menschen
erhöht worden, wobei sich auch schon 2200 Menschen oder mehr darin
befunden haben.
Die
Feldküche ist vier Mal umgezogen. Von oben herausen nach unten
herausen und jetzt ist sie drinnen, daneben jetzt ein großer Raum
mit Tischen für die Essensausgabe.
Waren
anfangs noch nur Leute vom Roten Kreuz, ein paar wenige Polizisten
und viele Freiwillige vom Team Österreich sowie der Caritas tätig,
so sind es jetzt weit mehr Freiwillige, vor allem viel mehr
Dolmetscher (meine Hochachtung gilt ganz besonders ihnen, was sie
leisten ist ein Wahnsinn!!) und sogar Security.
Die
Leitstelle ist von einem Container in einen Raum gesiedelt. Zur
Ankunft und Abfahrt mit Bussen sowie zum Einlaß in den Speisesaal
wurden Absperrungen aufgestellt. Hielten wir anfangs noch die Nummer,
deren Besitzer endlich weiterfahren dürfen, mit einem A4-Zettel
händisch in die Luft, so gibt es jetzt fix montierte Tafeln, auf die
sie gepickt werden.
Die
Decken-, Essens- und sanitären Vorräte sind besser organisiert,
selten geht noch etwas aus. Anfangs konnten wir nicht einmal die
Feldbetten desinfizieren, es war kein Desinfektionsmittel mehr da.
Mittlerweile weiß ich auch, wie das geht.. Und es gibt mehr
Feldbetten, auch unten müssen die Menschen nicht mehr auf dünnen
Isomatten am Teppichboden des ehemaligen Conrad liegen.
Auch
die Wasserschäden in den Hallen wurden, glaube ich, behoben, die
Heizung funktioniert.
Überall
sind jetzt gut sichtbare Hinweistafeln in vielen Sprachen und
Schriften montiert, sodass man alles gut findet. Trotzdem verirren
sich noch einige auf dem Weg von Halle A zum Essen...
Was
sich nicht verändert hat ist der große Platz oben. Auf dem wird
nach wie vor zu fast jeder Tages- und Nachtzeit Fußball gespielt.
Und
es sind immer noch die selben Leute hier. Die Dolmetscher, die
Einsatzleiter und Helfer vom Roten Kreuz, die beiden Küchenchefs. Alles ist bereits Routine. Viele Helfer kommen
immer wieder und wissen schon, wie alles funktioniert, auch wenn es
jedes Mal irgendwie anders ist.
Und
was jeder mittlerweile weiß, ist, dass es keine Informationen gibt.
Wann kommt ein Bus? Wieviele kommen? Wann dürfen die Menschen wieder
weiter fahren? Keine genauen Antworten. Immer noch nicht.
Seitdem
die ungarische Grenze zu ist und die Menschen aus Spielfeld anstatt
aus Nickelsdorf kommen habe ich das Gefühl, sie sind besser
versorgt. Wasserflaschen aus Slowenien habe ich gesehen, blaue
Beutel, die wahrscheinlich in Kroatien oder Slowenien ausgeteilt
wurden. Ebenso blaue Regenkleidung. Die dann, wenn der Regen wieder
aufgehört hat, einfach zurück gelassen wird. Wie so vieles andere
auch.
Aber
inzwischen kommen die Menschen erfroren an. Manche zittern so sehr,
dass man ihnen kaum das Armband mit der Nummer umbinden kann. Dass
sie kaum ihren Teller mit dem Dosenfisch halten können. Alle sind
müde. Die Busse kommen meist nachts. Es sind viel mehr Familien.
Anfangs waren kaum Kinder und Frauen hier. Jetzt sind es viele. Die
Kleinen werden getragen, weil sie im Bus eingeschlafen sind.
Eingewickelt in Decken. Viele in die dicken grauen Wolldecken von
UNHCR. Manche Kinder weinen. Manche schlafen noch im Gehen weiter.
Und trotzdem entkommt den meisten Menschen, die hier ankommen, ein
Lächeln. Ein „hello“ oder „marhaba“.
Beim
Essen höre ich so oft ein dankbares „thanks“, „shokran“,
„tesekkürler“ und auch ganz viele „Dankeschön“. Und wie
habe ich gestaunt, als einer zum Teeschank stürmt, mich angrinst und
sagt: „Servas!“ Auch die Kinder wissen, was „Dankeschön“ und
„Bitteschön“ heißt. Ich verstehe auch, wenn sie mich von unten
angrinsen und um „shir“ oder „halib“ fragen. Aber wie stolz
schauen sie aus, wenn sich diese kleinen Mädls das Wort „milk“
gemerkt haben!
Zum
Reden mit den Menschen hier komme ich selten. Aber schon vor längerem
hat mich ein fünfzehnjähriger Syrer mal angeredet. Auf Deutsch. Er
war schon irgendwo in der Oststeiermark untergebracht und war nur bei
uns für eine Nacht, weil er am nächsten Tag einen Gerichtstermin
hatte. Er war zuvor ein paar Monate in Italien – jetzt kann er
Italienisch – und damals seit ca. 7 Monaten in Österreich. Deutsch
hat er sich selbst beigebracht, er war schon ganz gut. Mit der Schule
hat er angefangen. Und als dann ein junges Mädl mit Kopftuch an uns
vorbei ging, hat er mich leise gefragt: „Magst du das? Ich mag das
nicht.“ Er war mit seinem Vater und seinem vierjährigem Bruder
hier. Den hat er dann auch geholt und mir vorgestellt. Er hat ihm
auch schon englisch beigebracht. So konnte sich der Kleine selbst
vorstellen. Aber statt „I'm fine“ hat er strikt immer „I'm
five“ gesagt.
Vergessen
werde ich auch nie diesen vielleicht eineinhalb Jahre alten Buben,
der ganz schüchtern im oberen Speisesaal im Eingang stand und
wartete. Wartete darauf, dass jemand von uns ihn entdeckt und ihm
etwas Süßes bringt. Er hatte eine weiße, gebügelte Hose an und
ein glänzendes, hellblaues, orientalisches Hemd. Wie ein großer hat
er damit ausgesehen. Und natürlich hat er bekommen, was wollte. Und
das nicht nur einmal...
Oder
der kleine Bub, der so lange leer ausgegangen ist, weil er zwischen
den größeren Kindern nie einen der kaputten Dreiradler ergattert
hat. Und dann endlich! Und dann hat er mir zu verstehen gegeben, ich
solle ihn damit schieben. Und hat gezielt gelenkt. Zu Raum C. Ich
solle die Türe aufmachen, hat er mir auch noch gedeutet. Und dann
ist er zielgerichtet auf das Lager, wo sein Vater lag, zugefahren.
Und
da war dann noch der vielleicht achtjährige, wahrscheinlich Afghane.
Der konnte Fußballspielen! Mit einer von uns hat er gespielt, sie
hat haushoch verloren. Ich und der junge Syrer haben ihnen
zugeschaut.
Auch den Vater mit dem Kinnbart, der irgendwie einen vornehmen Eindruck machte, mit seiner vielleicht vierjährigen Tochter werde ich nicht vergessen. Die beiden waren sicher mindestens drei Wochen in Webling, unter jenen, die schon hier bei uns um Asyl angesucht haben. Deswegen bin ich ihnen öfter begegnet. Die beiden sind immer kurz vor Schluss noch Essen gekommen, haben sich dann in Ruhe hingesetzt und gemütlich gegessen. Das Mädl kam immer und bedankte sich mit einem sehr netten „Dankeschön“. Wo der Rest der Familie der beiden ist, darüber mag ich gar nicht nachdenken...
Auch den Vater mit dem Kinnbart, der irgendwie einen vornehmen Eindruck machte, mit seiner vielleicht vierjährigen Tochter werde ich nicht vergessen. Die beiden waren sicher mindestens drei Wochen in Webling, unter jenen, die schon hier bei uns um Asyl angesucht haben. Deswegen bin ich ihnen öfter begegnet. Die beiden sind immer kurz vor Schluss noch Essen gekommen, haben sich dann in Ruhe hingesetzt und gemütlich gegessen. Das Mädl kam immer und bedankte sich mit einem sehr netten „Dankeschön“. Wo der Rest der Familie der beiden ist, darüber mag ich gar nicht nachdenken...
Das,
was an der ganzen Arbeit am meisten belastet, ist auch nicht das Müll
Wegräumen oder mit Mundschutz Betten desinfizieren oder völlig
fertige Menschen zu sehen. Es ist das, was man dann von anderen
Einheimischen hört. Vorurteile. Ängste, die völlig unbegründet
sind, weil sie auf Unwissen basieren. Und wenn kein Interesse gezeigt
wird, dieses Unwissen zu beseitigen, weil man offensichtlich so gern
an seiner falschen Meinung festhält.
Und
niemand hätte auch nur irgendwelche Anstalten gemacht, von mir
nichts zu nehmen. Wie man dann so in Bekannten- und sogar
Verwandtenkreisen manch ein Gerücht erzählt bekommt „Die nehmen
ja nicht mal Essen von Frauen“. Hm, gegrüßt, gelächelt, manchmal
sogar ein bißchen geschäkert haben sie. Oder es einfach genommen.
Oder ich war so im Stress, dass ich nicht jedem ins Gesicht schauen
konnte. Schade eigentlich.
Noch
emotionaler ist das alles für mich geworden, seitdem ich die ganze
Geschichte eines Syrers kenne. Angefangen vom Leben in Syrien vor der
Revolution. Über ihn und seine Familie. Über den Bäcker am Eck
irgendwo in Damaskus, der „Martina, das Brot von dort ist..
unbeschreibbar gut!“, über die Statue, die das einzige ist, das
sein Vater in den vielen vielen Jahren seiner Ausgrabungsversuche
gefunden hat. Die „in Syrien ist und immer in Syrien bleiben wird“.
Mit diesem wehmütigen Unterton. Wenn man vom großen Haus erzählt
bekommt, das irgendwo in einem Vorort von Damaskus steht. Oder auch
nicht mehr dort steht. Und dann die ganze Geschichte, oder eigentlich
nur immer wieder Teile davon, von der Flucht über Cairo und die
Türkei nach Griechenland. Über die griechische Polizei, die ihn und
seinen Bruder in einen Fluß gedrängt und seinen Bruder schwer
verletzt hat. Über ein furchtbares Lager an der
mazedonisch-serbischen Grenze. Über die Wanderungen durch Mazedonien
und Serbien. Nachts, damit sie nicht von der Polizei entdeckt werden.
Und dann im gleichen Atemzug die Erzählung, er konnte bei einem
Bekannten in Novi Sad für zehn Tage wohnen. Und Novi Sad sei so
schön und die Serben so nett. Und die Griechen so gebildet. Keine
Spur von Hass. Nicht ein bißchen. Dann Ungarn, Traiskirchen. Und jetzt das Leben in Wien. Keine Aussicht auf Arbeit,
zu zehnt in einer fast 90 m² Wohnung. Spärlich Deutschkurse, weil
schlecht und teuer. Aber jedes Mal ein lachendes Gesicht. Kein Geld,
aber trotzdem lädt er mich auf Kaffee ein.
Seine
Geschichten haben meine Arbeit in Webling verändert. Jetzt sehe ich
in den vielen Menschen noch mehr Gesichter, weil ich weiß, dass
jeder von ihnen so eine Geschichte hat. Familie. Freunde. Die sie
verloren haben. Wehmut, weil sie nicht zurück können. Ja, Wehmut
ist oft zu hören bei meinem Freund. Kein Hass oder Rachegedanken.
Aber Wehmut. Er will nach Hause. Aber er weiß, dass es keines mehr
gibt. Und dass sein bester Freund nicht mehr lebt.
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